Die Storyteller

Vom kreativen Potential zur kreativen Kompetenz
Aus einem Vortrag, zuletzt gehalten bei LEHRER und LEHRERINNEN BERN (LEBE) 2015
Aller Anfang ist schwer. Sagt nicht nur das Sprichwort, sondern auch der grosse Peter Brook.  Was Pestalozzi oder mein Doktorvater Horst Rumpf für mich als Lehrer sind, war Peter Brook, der englische Regisseur aus Paris, für mich auf dem Theater. Ein Vorbild. Ihr kennt das- jeder braucht Vorbilder, und wir Lehrer, wenn wir es gut machen, sind das für unsere Schüler.

Also- aller Anfang ist schwer. Sagt Brook. Er hat – wie ich dann auch – monatelang z.B. eine neue Sicht  auf  Shakespeares „Hamlet“ vorbereitet. Und dann fangen die Proben an- und er weiss:  alles Lesen, alle Vorbereitung hilft nicht- ohne die Bereitschaft der Schauspieler: Sie sind die eigentlichen Autoren, SchöpferInnen des Theaters.

Fangen wir an, wie er, bzw. wie sie, mit einer kleinen Übung, die euch/ uns in die Autorenstimmung versetzt. Ihr müsst dazu eigentlich nur euren Arm heben…

Ihr seht- schon sind wir mitten drin in der Fantasie, in der Kreativität. Eigentlich seid ihr gerade wieder Kinder geworden, regressiv, würde man mit dem Fachbegriff sagen. Hoffentlich macht keine von den Fachpersonen eine Abklärung mit euch. Seht ihr, der grosse  Schweizer Piaget, seines Zeichen d e r weltweit gültige Entwicklungspsychologe, spricht über diese Phase des kreativen Lernens als “Phantastischen Realismus“, also , um es mit Donata Elschenbroich zu sagen: Das Weltbild der 7-9 Jährigen entwickelt sich aus einem Zusammen –Spiel von kognitivem Realismus und Phantasie. Und der gut Piaget ist dann auch froh, wenn diese Phase der „präoperationalen Intelligenz“ bald vorbei ist und übergeht in die Phase der kognitiven Intelligenz.

Spiel und Phantasie seien dann nicht mehr nötig, weil der Mensch sein eigentliches, nämlich seine  kognitive Vernunft, sein Hirn, entwickelt hat. Vielleicht ist es da übrigens nur folgerichtig, dass, wie ich gerade in der COOP-Zeitung gelesen habe, die zwei intelligenten, sprechenden und sehenden Haushaltsroboter OPY und RHY, die gerade an der ETH Lausanne entwickelt werden, über die Software „Environnement Piaget“ gesteuert  werden…. N ja- Frankensteins Monster wurde ja auch an den Ufern des Genfer Sees entwickelt…..

Gottseidank gibt es ja auch noch andere forschende Nobelpreisträger, zum Beispiel Neurologen, die sich mit so spannenden Fragen beschäftigen: „Wer denkt das Denken?“

Nun haben die Neurologen ja mittlerweile erforscht, dass mehr als 90% unserer Denk- und Sprechleistung aus dem Unterbewussten kommt, also nicht aus den die Kognition ausbildenden vorderen Hirnlappen.

Es gibt also eine emotionale, eine kreative, bildnerische Intelligenz- die uns wohl immer von den  Piaget-Robötterchen und  Frankenstein- Mönsterchen unterscheiden wird.

Wenden wir uns also wieder d e r  zu.

Ein anderer grosser Kollege, auch ein Vorbild, Keith Johnstone, der sogenannte Impro-Theater Papst, seines Zeichens Professor für improvisiertes Theater in Kanada, hat zu der Zeit, als er noch hauptamtlich Zeichenlehrer an der Highschool  in London war und Seminare für Schauspieler und Autoren  zur Kreativität am National Theater gab, den denkwürdigen  Satz gesagt: „Der erste Gedanke ist der Beste.“ Und eine Übung dazu gemacht , die ich jetzt auch einmal mit einem freiwilligen von euch ausprobieren möchte. Ich nenne sie: „Interview“.

Interview

Ich bräuchte dafür eine Freiwillige hier vorne. Falls das schwierig ist, macht nichts, ich komme in eure Mitte und finde bestimmt dort, was bzw. wen ich suche…

Geht auf jemanden im Publikum zu…

Ach- übrigens, das einzige, was ich festlegen möchte, ist: dass du, wenn du nach deinem Namen gefragt wirst, nicht deinen richtigen Namen benutzt, sondern den, der dir gerade einfällt.

Geht auf jemanden zu und interviewt sie mit dem Mikrofon…

Guten Tag, Frau Professor —-

…. Esterhazy……

Guten Tag, Frau Professor Esterhazy,  wir freuen uns sehr, Sie heute hier begrüssen zu dürfen und bedanken uns mit einem warmen Applaus.

Hier käme dann ein warmer Applaus.

Applaus, erst dann weiter…

Frau Professor Esterhazy, Sie arbeiten schon lange als Spezialistin auf dem Gebiet der ……..

(Sie findet im Moment ein ‚Forschungsthema‘)… Kernspaltung bei… Kirschkernen….

Ah, ja, spannend, , also die sogenannte Kirsch- Kern-Spaltung, Können Sie uns  Laien vielleicht erläutern,, worum es in grossen Linien geht bei der Kirschkernspaltung?

Eigentlich geht es um die Frage, wie können wir den Kern der Kirsche spalten, ohne ihn aus der Frucht zu entnehmen. Also eigentlich die ganzheitliche, gewaltlose Spaltung von natürlichem Material, so wie es in der Natur vorkommt…

Was hat Sie denn auf diesen Forschungsgegenstand gebracht? Wie  um alles in der Welt sind sie darauf gekommen, sich mit Kirschkernspaltung  auseinanderzusetzen? Gab es Erlebnisse, einschneidende, Ideen…?

Ja- einmal, als ich noch Kind war, und ich liebte die Kirschen, ich pflückte sie im Garten, hatte ich einen Freund. Ich wollte, dass er unbedingt mit mir geht, er half mir beim Kirschenpflücken- aber als ich ihm eine zum Kosten gab, sagte er: Ich muss gleich speien, ich ekle mich vor den Kernen.  „Und vor den Kirschen nicht?“ -„Nein, die sind  wunderschön. Wie du.“ Da wurde ich rot wie die Kirschen und hätte ihm so gerne eine ganze, pralle, aber entkernte Kirsche geschenkt. Damals entwickelten wir die ersten Ideen, und bald schon hatten wir ein Startup Unternehmen gegründet, und seit letztem Jahr gibt es den ersten Lehrstuhl an der ETH. Und ich durfte ihn besetzen.

Und der Kinderfreund?

Macht bald schon bei mir seinen Master!

Frau Prof. Yyyyyyy, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Applaus.

Ihr seht, wie unsere Kollegin – ohne Soufflage, ohne Vorbereitung, ohne Nachdenken ( Vorderhirnlappen-Kognition) – sich zu einer Expertin der Kirschkernspaltung gemausert hat, Sätze, Fachwissen, Geschichten entwickelt hat, von denen sie vorher gar nicht gewusst hat, dass es sie überhaupt gibt.

Vor einiger Zeit, als ich als Intendant am Jungen Theater in Göttingen arbeitete, hatte ich eine Bekannte, die gerade Neurologin an der Uni-Klinik geworden war. Nun ist ja Göttingen die Stadt mit den meisten Nobelpreisträgern, seit Heisenberg, Schrödinger ( ohne Katze), Niels Bohr ( der Atombomben-Bohr) und so. Ganz zu schweigen davon, dass auch unser Jeremias Gotthelf alias Albert Blizius da war. Allerdings ohne Nobelpreis.

Also- der Doktorvater meiner Bekannten war auch Nobelpreisträger- der Neurologie, und da damals die Sache mit der Kreativität mich auch schon umtrieb – kein Wunder bei d e m  Job, wo du mindestens 5 Mal im Jahr ein originelles Stück in origineller Inszenierung mit originellen Schauspielern präsentieren musst, wenn du ihn behalten willst. Anders als heute, als Lehrer, wo du deinen Job auch behälst, wenn du nicht……

Na, lassen wir das! Ich fragte sie also, was damals auch gerade beim „Spiegel“ das Titelthema war:

„Und was sagt dein Nobelpreisträgerprofessor:  WER DENKT DAS DENKEN?“

Wo doch die Neurologen herausgefunden hatten, dass 90% unserer Intelligenz n i c h t im Bewusstsein, in der Kognition, gebildet wurde. Und sie lachte.

HAHAHAHA! Laut. „Na ja, das Denken kommt aus den Synapsen“, sagte sie, als sie sich beruhigt hatte.

„OK“, sagte ich, „aber wie kommt es da rein?“

Sie lachte wieder. „Eben“, sagte sie, „ er sagt: GOTT SITZT IN DEN SYNAPSEN.“

Und dass ihr Lachen verzweifelt klang, lag daran, dass sie eine moderne, junge Türkin war, die gerade mit ihrem Gott Allah abgeschlossen hatte und die Naturwissenschaften als neue  Vernunft-Wahrheit akzeptieren wollte, und da sagte ihr der Nobelpreisträger, quasi als oberster Vernunft-Priester: Allah sitzt da, wo eigentlich die Vernunft sitzen sollte. Schöne Grüsse an Herrn Piaget …

Also- weiter sind wir da nicht, auch nicht mit den Naturwissenschaften des 21. Jahrhundert. Um es mit einem anderen  Cheflogiker zu sagen:

„Worüber man nicht reden kann, darüber muss man schweigen“.

Sagt Wittgenstein, erst Mathelehrer an einer Wiener Volksschule, dann Logikprofessor in Cambridge, in seinem  berühmten „Tractatus logicus“. Aber eben, das  scheinbar Umgekehrte gilt auch:

 „Der erste Gedanke ist oft der Beste“ .

 

In den Stil geht das dann noch ca. eine halbe Stunde weiter…….

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