„Die Kreativität der Menschen ist das eigentliche Kapital“
Joseph Beuys
Wenn Sie mich fragen: Jetzt bist du also 13 Jahre alt, Joseph. Was hast du für einen Plan für dein Leben?…dann würde ich folgendermassen antworten:
Typisch. Pläne wollt ihr, Listen, Pläne und Ameisen, die dann so krabbeln, wie eure Pläne gezeichnet sind…Unser Land, wenn man einen Querschnitt machen könnte, sähe aus wie ein Termitenhügel von innen, und überall im gleichen Abstand krabbeln die gleich aussehenden Ameisen hintereinander her. Nur dass die Gänge nicht so chaotisch durcheinanderlaufen wie in der Natur, sondern ordentlich rechteckig wie auf einer Harddisk. Wie eine Uhr- aber quadratisch.
Im Land der Uhrmacher ist das die letzte Herausforderung: Der Kreis, das Runde.
„Die Quadratur des Kreises“, haben wir im Hochbegabtenunterricht gelernt, ist am Ende nicht möglich. Es entsteht dabei die Zahl Pi- aber die hat ja auch nach dem Komma kein Ende. Der Kreis ist also etwas, das einfach da ist, das kann man nicht machen, nicht konstruieren. Der Kreis ist ein Geheimnis. Und ausser dem Bankgeheimnis darf es im Land der Banken und Ingenieure kein Geheimnis geben.
Kürzlich, in der COOP- Zeitung, gab es einen Bericht über intelligente Roboter, die demnächst auch den Ärzten helfen sollen, die passende Chemie oder den passenden Schnitt für den kranken Menschen zu finden. Die werden an der ETH in Lausanne entwickelt, und die Software dazu heisst ‚Environnement Piaget’.
„Piaget- das ist doch der Schweizer , der die Psychologie in die Schule gebracht hat. Damit die Kinder noch besser lernen!“, rief mein alter Herr aus, der gerade selbst noch Lehrer ist, obwohl er eigentlich vom Theater kommt.
„Ja, ich muss meine Prüfung auch nach Piaget lernen“, pflichtete ihm meine Ma bei, die eigentlich Schauspielerin war und jetzt Lehrerin wird.
„Aber er will den Kindern die Phantasie austreiben“, fuhr sie fort, “er lässt sie nur gelten, bis die Kinder aus dem ‚Gröbsten’ heraus sind, rechnen können und 1+1 zusammenzählen. Dann können sie ‚denken’, denkt er, dann brauchen sie keine Bilder und keine Phantasie mehr.“
„Was für ein Blödsinn – die Neurologen heute haben bewiesen, dass mehr als 90 % unserer Gedanken, Wörter und Sätze nicht vorne, im Vorderhirnlappen entstehen, sondern irgendwo!“
konterte der alte Herr.
„Eben im Unbewussten“, folgerte meine Mama.
„Also- das Denken wird gar nicht gedacht!“
Und so ein Gedanke geht ja nun mal gar nicht.
Klar, dass sie die denkenden Roboter nach ‚Piaget’ nennen. Der hätte doch auch gerne aus uns allen kleine, berechenbare Elektrogehirne gemacht… Die aussehen wie Ameisen…
Ich bin aber keine Ameise. Ich sehe nicht so aus, ich bewege mich nicht so.
Kürzlich haben wir in der Schule diese Geschichte gelesen von dem Mann, der morgens aufwacht und eine Ameise ist. Gregor und so weiter, hiess der, von einem Herrn Kafka. Kenne ich nicht, aber die Story war krass.
Ich glaube, hier wachen viele eines Morgens auf und sehen im Spiegel: Jetzt bin ich auch eine. Zum Beispiel: eine Schulameise.
Vielleicht gibt es ja Leute, die dazu taugen. Ich nicht.
Ok, ich war ein Hochbegabter, ich wurde abgeklärt, ich hatte genug Prozent, 125 oder so, freitags war ich vom Normalunterricht befreit. Freitags gab es Spezialunterricht.
Es war geil bei diesem Lehrer. Man lernte so, wie man sonst nur in der Freizeit Spass hatte: Computer, Powerpoint, Youtube und so. 3 Tage Expedition auf die Jungfrau, übernachten in 3.500 m Höhe. Im ewigen Eis. Alle waren neidisch.
Aber die normalen Lehrer sagten: „Das ist nicht gut, dir fehlt was.“ Sie legten immer in die Zeit, wo ich den Unterricht hatte, alles, was man wirklich brauchte für den nächsten Test, für gute Noten. Ich wurde schlechter. Fast reichte es nicht für den Übertritt in die Sekundarklasse.
„Siehst du,“, sagten sie, „es reicht nicht, hochbegabt zu sein, man muss fleissig sein wie eine Biene…“. Oder eben eine Ameise.
Florian, der dicke Florian von unsern Wilden Kerlen, er wurde so einer. Er sprach nicht mehr mit uns, er wurde immer dünner, wie sie, seine Mutter, die auch aussieht wie eine Ameise. Und er sagte bei jeder Probe, wo er besser rauskam als ich: „Siehst du, wie hochbegabt du bist?“
Dabei lernt er einfach alles auswendig. Egal, ob Math, Franz oder Deutsch. Seine dürre Mama, die immer mit dem hochnäsigen Schwyzerblick daherkommt und kaum grüsst, ist die Verwandte einer Lehrerin vom Nachbardorf. Lehrer haben Lehrerausgaben. Muss ich mehr sagen…?
„Dein Vater ist doch auch Lehrer!“ könnten Sie jetzt sagen. „Ja, und meine Mutter wird es auch“. Würde ich Ihnen antworten. Denn von irgendetwas müssen diese liebenswerten Theaterkomiker schliesslich leben. Und wir auch.
Aber eben- w e i l sie eigentlich Zirkus- und Theaterpferde sind, wollen sie auch die Schule besonders kreativ machen, mit Spass und echtem Lernen und so. Wie der Begabtenlehrer. Also haben wir vor den Proben nie einfach die Lösungshefte auswendig gelernt, wie Florian und Co., sondern unsere Zeit vergeudet mit echtem Lernen, so, dass man das begreift mit den Kommastellen oder den Brüchen. Mit Bildern und Torten und so. Macht zwar eigentlich mehr Sinn – aber kurz vor einer Probe ist das einfach nur gefährlich.
Diese Phantasten (meine Eltern): Sie haben immer noch nicht begriffen, dass es hier nicht ums Denken geht, oder Einsehen, oder sogar Spass am Lernen…Es geht ums „Büggle“. Eben darum: Ameise zu werden.
Und wenn du aus Wyla kommst, dem Neben- und Unterdorf von Kotzenstorf, dann musst du doppelt „büggle“, weil die Gymerplätze in Burgdorf – die wenigen, die es für die Kotzenstorfer überhaupt gibt – schon längst vergeben sind…
Doppel- Ameise werden… oder: Fussballameise.
Mein grosser Bruder Jonathan- der in Wirklichkeit bald „der Kleine“ heissen wird, ich wachse schneller als er- hat mir immer eine Pinocchio- Nasenlänge voraus: Bei Kotzenstorf spielten wir zusammen, waren wir der Sturm. Wie wir das immer waren und sind, bei den Wilden Kerlen oder beim Grümpelturnier…
Aber beim FC in der grossen Stadt ist e r U12, ich U11, e r U13, ich U 12… und so weiter… einfach wegen dem Alter, sagen sie, aber sie meinen: auch wegen der Schnelligkeit, die mir noch fehlt.
So bin ich eben mit den kleinen Steppkes zusammen, die mir gerade bis zur Schulter reichen, und muss zittern, ob ich je soweit komme wie er.
Denn wir spielen Leistungsfussball, und bei uns wird skelettoniert. Oder heisst das anders? Selek…- also, eben einfach gesiebt, rausgeschmissen, Tod oder Leben! Wie in der Schule.
Ameisen –Fussballameisen wollen sie alle aus uns machen. Jonathan ist auf dem besten Weg, eine zu werden. 5x die Woche Training, weil er in der Sportspezialklasse ist, sogar 2x vormittags. 20 Stunden Training, dazu 30 Stunden Schule und 20 Stunden Hausaufgaben. Macht eine 70 Stunden Woche.
Das ist Kinderarbeit, jeden Tag 12 Stunden. Und der macht das freiwillig.
Keine Zeit mehr für den Wald, für die Freunde, für Skaten, Bällele, Rennen, Biken oder für’s Surfen und Fernsehen, oder gar für Mädchen- eben für Spass. Oder einfach: für gar nichts tun. Keine Zeit mehr für unser Leben- dabei sind das doch jetzt, wie uns die Erwachsenen sagen: Die schönsten Jahre! Und sie sprechen aus Erfahrung! Was ist los?
Sinnlos ist es noch dazu- denn was lernst du, wenn du dauernd rennen musst. 5000 Meter wöchentlich. Weder im Kopf noch in den Beinen lernst du was, und an Taktik bestimmt nicht. Aber- du büggelst. Du wirst eine Ameise. Eine Fussballameise. Bravo.
Nein- das mache ich nicht mit. Shooten ist das Letzte, was mir geblieben ist. Das meins ist. Unsers. Die treiben mir und meinen Freunden nicht noch den Spass am Bällele aus.
Dass wir in der Schule beim Bügglen den Spass am Lernen verlieren, habe ich akzeptiert.
Ich habe auch begriffen, dass sie uns die Lust am selbstständigen Lernen, den Forscherdrang, den Spass am Lesen austreiben wollen. Ich verstehe allerdings noch nicht warum.
Gottseidank gibt es noch Youtube und Galileo.
Ich habe zum Beispiel so gerne und so schnell Bücher gelesen, am liebsten Science Fiction. Aber seitdem wir auf der Sekundarstufe Bücher im Fliessbandtempo lesen und kapitelweise Zusammenfassungen abfassen müssen, und das seit 20 Wochen, habe ich mich wie alle drauf verlegt, nur noch die Inhaltsangaben auf Google zu suchen und umzuschreiben. Wie alle. Keiner merkt was. Oder wenn doch: keiner sagt was, und die Noten stimmen. Und mit dem Bücherlesen habe ich aufgehört.
Ich habe auch damit aufgehört, selbst Bücher zu schreiben. Ich hatte schon 2 Manuskripte fertig. Aber von den Lehrern wollte sie keiner lesen, von den Kollegen sowieso nicht, und der alte Herr schwärmt nur wieder, lobt mich über den grünen Klee. Dafür kann ich mir nichts kaufen.
Nein- ich hasse Bücher mittlerweile. Wie alle Jungen. Auch wenn er so viele davon in seinem Zimmer die Wände hochstapelt, der alte Herr. Denn die bringen mich nicht weiter.
Aber- w a s bringt mich weiter? Ameise werden? Wie alle?
Es heisst, alles ist heute global: die Schule, die Uni, die Berufe, ja, der Arbeitsmarkt ist global!
Als mein Vater seinen ersten Beruf gelernt hat- Buchhändler- da hat er den gelernt, weil sein Vater eine Buchhandlung hatte. Und auch bei uns im Dorf gibt es Junge, zum Beispiel den Elia oder die Annie, deren Mütter oder Väter haben „Budden“, der eine eine grosse Gärtnerei, die andere einen Mann mit einer „Bau AG“, und sie wissen, dass sie da, wenn sie wollen, lernen und später arbeiten können.
Aber der grosse Rest der 8 Milliarden Menschen auf der Welt tickt heutzutage anders: Sie müssen lernen wie verrückt, alle nach den gleichen „Pisa“- oder „Bologna“ –Regeln, um sich dann weltweit auf den Arbeitsmarkt zu werfen.
Sie meinen, ich übertreibe? Mitnichten!
Jeder vierte Mensch, der in der Schweiz lebt, kommt direkt aus dem Ausland, in den Schulen jeder dritte oder zweite! Und die sind a l l e hier, weil sie bzw. ihre Eltern etwas können, was der Arbeitsmarkt hier braucht und bei der eigenen Bevölkerung scheint’s nicht findet.
N u r deswegen- andere lässt die Schweiz doch gar nicht rein. Wir gehören ja auch dazu, wir „fremde Fötzle“ aus „Dütschland“….
Und da frage ich mich, w a s ist das für ein Arbeitsmarkt, für den uns die Schule da ausbildet?
Büggle, Ameise werden, wie alle sein und ticken, gehorchen und klaglos funktionieren- sind das die Jobs, für die sie hier bei uns in der ganzen Welt die besten Arbeitskräfte rekrutieren?
Informatiker- Mediamatiker- Konstrukteure- Banker- Pharmakologen- Ärzte…
Und sie kriegen sie zu Löhnen, für die bei uns kein Elektriker mehr arbeitet!
Mein Daddy sagt, in Preussen wurde die Schule für alle erfunden, damit der Kaiser gute Soldaten hatte, die ersten Volksschullehrer wären eigentlich einfache Unteroffiziere gewesen und Sport hätte „Leibesübungen“ geheissen, um da das Exerzieren zu üben.
Und da viele Schweizer früher ihr Geld als Berufssoldaten verdient hätten, später als sogenannte Kleinbauern vor allem in Heimarbeit mit der ganzen Familie täglich 12 Stunden lang die Fabrikarbeit für die Burger in der Stadt gemacht haben- oder auswandern mussten- hätten sie das eben heute noch so drin: Büggle, parieren, funktionieren ist der beste Weg zum Überleben.
Nur bitte- heute? Was ist denn los? Leben wir noch im 18. oder 19. Jahrhundert, liebe Lehrer, liebe Erwachsenen? Wie wäre es mit Aufwachen?
Wir waren viele- und viele Original-Schweizer- in der Hochbegabtenklasse. Und alle mussten im Laufe der Zeit daraus verschwinden. Und sich eingliedern in das Heer der Namenlosen. Weil die Lehrer dieses Projekt eh „für nüüt“ fanden!
Warum fördert die Schule nicht die Hochbegabten- und es gäbe noch viel mehr unter uns, hochbegabte Zeichner, hochbegabte Techniker, hochbegabte Köche oder hochbegabte Dichter…fast jeder hat irgendwo eine Hochbegabung.
Warum verdirbt sie uns die Freude an unserer Begabung und an unserem Lernspass und macht uns alle zu kranken Lernsoldaten? Was hat das für einen Sinn- wenn dann am Ende weder Fabriken noch Armeen auf uns warten, sondern moderne Unternehmen, die kreative, selbstständige Persönlichkeiten suchen? Wer will uns da verhindern?
Am Ende suchen sie die Führungskräfte weiter weltweit- und wir werden maximal „Operation Manager“ in irgendeiner Versicherung oder Bank. Eigentlich sagt man dazu Sachbearbeiter.
Oder besser- Sachbearbeiter -IN! Denn meistens erfüllen heute nur die Mädchen, was in der Schule verlangt wird, fast doppelt so viele Mädchen wie Jungen machen die Matur. Und wenn es dann doch nicht reicht für die ETH, und Operation Manager ihnen zu blöd ist, werden sie
Lehrer! Beste Aussichten für die Schule!
Vielleicht wirkt ja „die heutige Jugend“ wie „ein Ausbund an Tugend“, weil sie begriffen hat, dass sie sich anpassen muss wie der Gregor, der ein Insekt wurde, weil sie nur als Ameise überlebt in dem digital vernetzten Termitenhügel. Wenn sie nicht rausfallen will- denn die „3.Welt“ beginnt heute überall, vor der Haustüre. Neben den Glaspalästen lauern die Ghettos…
Aber schauen sie einmal auf den Playstations der Jungen nach, was da für ein Gewaltschrott versammelt ist, und schauen sie sich einen Ballroom oder eine Concerthall nach der Party an, oder hören Sie mal in die Songs der Gangsta Rappa rein, das sieht nicht nach Tugend aus, das tönt nicht nach Tugend. Da hat sich eine unendliche Wut versammelt über die Welt, wie sie ist.
Diese Wut war einmal tausendfache Hochbegabung. Wer die dazu zurückverwandeln könnte- der hätte das grösste Kapital der Welt.
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